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Panos Karnezis: Von großen und kleinen Gemeinheiten

  471 Wörter 2 Minuten 909 × gelesen
2017-05-01 2017-05-01 01.05.2017

"Pater Gerasimo bekreuzigte sich. Das erste Beben war kaum zu spüren, so wie die Wellen der Dynamitexplosionen, die zuweilen aus den zum Gefängnis gehörenden Minen ins Dorf drangen; die Leitungen an den Strommasten vibrierten leicht, und der Kanarienvogel schlug mit den Flügeln gegen die Gitter seines Käfigs": Im ersten Kapitel sucht ein Erdbeben das abgelegene und verarmte kleine namenlose griechische Dorf heim, dessen Bewohner und Besucher Panos Karnezis’ im Deutschen Taschenbuch Verlag München erschienenen Erzählband "Kleine Gemeinheiten" bevölkern, und exhumiert auf dem Friedhof die Särge der Vorfahren. Im letzten Kapitel kommt die Flut.

Dazwischen passieren allerlei kleine und große Katastrophen - und Schandtaten, die Karnezis in insgesamt neunzehn unterschiedlichen und doch miteinander verbundenen bös-komischen, schaurigen bis zunehmend düsteren Geschichten von Liebe und Verlust klangvoll, farbenfroh, spannend und auch schockierend erzählt.

Der Titel des Buches, das sich wie ein Roman lesen lässt, ist Programm. "Dieses Dorf zieht das Unheil an wie das Licht die Motten", lässt Panos Karnezis, der 1967 in Griechenland geboren wurde, seit 1992 in England lebt und zunächst Ingenieurwesen und anschließend Creative Writing an der Universität studierte, im ersten Kapitel mit dem Titel "Ein Steinbegräbnis" den Dorfpater Gerasimo sagen. Dieser fürchtet angesichts der vielen kleinen und großen Sünden seiner gottlosen Schäfchen den himmlischen Zorn - die Zerstörung des Dorfes bringt allerdings der Mensch allein und höchstselbst.

Das Unheil nimmt seinen Lauf, als einer der durch das Erdbeben ans Licht gekommenen Särge nicht die Überreste eines Kindes enthält, sondern Steine in der Form eines menschlichen Herzens. Dass er irgendwann einmal die Totenmesse für einen Haufen Steine gelesen hat, lässt Pater Gerasimo nicht ruhen, bis er das Rätsel gelöst hat, das nicht die einzige Tragödie in diesem Dorf ist. Ob Bahnwärter, Barbier, Cafébesitzer, Doktor, Bürgermeister, Landbesitzer oder Hure – das Leben auf dem Land und in dem von Karnezis’ geschilderten Dorf ist hart und verschont keinen. So bleiben Gemeinheiten - bis hin zu Mord und Totschlag - nicht aus.

Ein König im Exil, ein Bischof, der vorgibt, ein Wunder bewirken zu können, eine exotische Vogelhändlerin, ein Zigeunerzirkus mit einem Zentaur und handelsreisende Gauner: Panos Karnezis entführt den Leser in eine manchmal märchenhafte, dann wieder fast gespenstisch anmutende Welt. Wie ein roter Faden taucht Pater Gerasimo in den einzelnen Erzählungen immer wieder auf, der selbst auch nicht vor unlauteren Methoden zurück scheut, um die Dorfbewohner auf den rechten, sprich gottesfürchtigen Weg zu bringen - allerdings meist ohne großen Erfolg.

Am Ende verschwindet das namenlose griechische Dorf mitsamt seinen Bewohnern von der Landkarte: "Als die Flut den Staudamm erreichte, hob sich der Wasserspiegel im ganzen Tal, bis er die Dachfirste der höchsten Häuser umspülte; das Wasser stieg bis an die Stuckdecken im Rathaus, unter die Kuppel in der Kirche des heiligen Timotheus, und es stieg weiter und weiter, bis nur noch der Glockenturm herausragte."

Panos Karnezis:
Kleine Gemeinheiten. Deutsche
Erstausgabe. Deutscher Taschenbuch Verlag München.
280 Seiten.

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